Mittwoch, 8. April 2015

Berliner Tagebuch: Absehbare Abwehrkämpfe





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Das Tagebuch von Angelika Nikionok-Ehrlich, Berliner E&M-Korrespondentin, hält die Energie-Ereignisse oder -Inszenierungen der Hauptstadtpolitik fest.

Donnerstag, 19. März

Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel leitet den Bundestagsfraktionen seine Eckpunkte zum Strommarkt zu, die gleichzeitig auch an Journalisten lanciert werden. Darin geht es um die Punkte Strommarkt und Kapazitätsreserve, die Reform der KWK-Förderung und den Netzausbau. Zum Aufreger wird aber vor allem das Thema zusätzliches Klimaschutzinstrument, denn damit sollen, gemäß einem Kabinettsbeschluss vom Dezember 2014, Kraftwerke einen zusätzlichen CO2-Minderungsbeitrag von 22 Mio. t erbringen. Die schmutzigsten Anlagen sollen für den Teil der Emissionen, die den festgelegten Deckel des CO2-Ausstoßes übersteigen, zusätzliche Zertifikate kaufen. Eigentlich logisch, doch in den betroffenen Bundesländern und in der Unionsfraktion zeigt man sich schockiert „Das trifft die Braunkohle mit voller Kraft“, so die Einschätzung, und sei ein „deutlicher Eingriff in die Erzeugungslandschaft“. Und da bestehe erheblicher Klärungsbedarf. Die für den 21. März geplante Energieklausur der Bundestagsfraktionen wird auf Wunsch der Unionsfraktion auf den 26. März verschoben.

Dienstag, 24. März

Über das Wochenende ist das Thema richtig hochgekocht. Die Proteste aus den Ländern mehren sich. Dort macht man sich auch in der SPD Sorgen. Bereits am Montag hat NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit ihrem Parteikollegen Gabriel gesprochen. Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit der höchsten Kohleverstromung. Nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) sind 17 der 20 RWE-Meiler über 40 Jahre alt und „wahre Dreckschleudern“.
Der CDU-Oppositionsführer in NRW, Armin Laschet, sieht „den Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland“ mit den Gabriel-Vorschlägen besiegelt. Der Minister bleibt gelassen und verweist darauf, dass die Kraftwerke pro Jahr über 300 Mio. t CO2ausstoßen. „Da sind 22 Millionen Tonnen wirklich nur ein kleiner Eingriff“, betont Gabriel.

Zehntausende Arbeitsplätze seien gefährdet, heißt es hingegen aus der Landespolitik und von den Gewerkschaftern. Die mobilisieren schon mal: Mehrere tausend Vattenfall-Mitarbeiter aus Brandenburg und Sachsen äußern am Mittwoch bei einer außerordentlichen Betriebsversammlung am Tagebau Jänschwalde ihren Ärger und ihre Furcht um ihre Jobs. Auch bei der Mibrag gibt es eine Demonstration. Eine in Düsseldorf geplante Protestaktion von RWE-Mitarbeitern wird wegen des Flugzeugabsturzes in Frankreich abgesagt. Der Lausitz drohe ein „sozialer Blackout“, warnt der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Michael Vassiliadis. Die Gabriel-Vorschläge kämen zur Unzeit, sie gefährdeten die Verkaufspläne Vattenfalls. Die Grünen in Brandenburg fordern von der rot-roten Landesregierung, endlich den Strukturwandel einzuleiten. In NRW legt der BUND ein Gutachten des Öko-Institutes vor, das den Braunkohle-Ausstieg bis 2030 zur Erreichung der Klimaschutzziele für notwendig, aber auch für machbar erklärt. „RWE hat die Energiewende verschlafen und nimmt jetzt die Mitarbeiter in Geiselhaft für eine verfehlte Geschäftspolitik“, kritisiert der Landes-BUND-Geschäftsführer Dirk Jansen.

Unterdessen hat die Unionsfraktion die Energieklausur mit dem Bundeswirtschaftsminister erneut abgesagt – ohne neuen Termin. „Die Vorschläge sind so weitreichend, da können wir nicht auf der Basis von ein paar Folien entscheiden. Wir wollen Gespräche mit Unternehmen und Industrieverbänden führen und europarechtliche Fragen klären“, heißt es zur Begründung.
Klärungsbedarf hat zwar auch der Koalitionspartner, doch stößt dort die Verzögerung nicht auf Freude. „Wir bedauern, dass man nicht einmal in der Lage ist, die Befindlichkeiten auszutauschen und die Dinge, die man problematisch sieht, zu besprechen“, sagte der energiepolitische Sprecher der SPD, Dirk Becker, zu E&M. „Von der Unionsfraktion erwarte ich die Zusage, dass sie zu dem Kabinettsbeschluss steht.“ Es sei eine „Frage der Redlichkeit“, dass sich vor allem die Kraftwerke, die besonders viel CO2 ausstoßen, an dem Zusatzbeitrag beteiligen, und das seien nun einmal Braunkohlemeiler und alte, ineffiziente Steinkohlekraftwerke.

Wenig Verständnis für die Absage hat man auch beim VKU: “Es kann nicht sein, dass wichtige und richtige Termine sowie richtungsweisende Entscheidungen immer wieder verschoben werden. Allen Beteiligten sollte klar sein, dass wir keine Zeit mehr haben”, betont Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck. „Es bedarf Mut, Entscheidungen zu treffen. Dafür muss man sich aber an einen Tisch setzen, auch wenn wenige Stunden nicht ausreichen werden, um die großen Probleme zu lösen”, so Reck. Dem VKU brennt insbesondere die Reform des KWKG unter den Nägeln.

Mittwoch, 25. März

Justus Haucap vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie plädiert wie auch andere Wissenschaftler für eine Reanimierung des Emissionshandels als zentrales Klimaschutzinstrument. Dennoch sieht er die Vorschläge von Minister Gabriel für einen zusätzlichen CO2-Minderungsbeitrag der Kraftwerke nicht als grundsätzlich falsch an. „Der Vorschlag ist weniger system-unkonform als andere Maßnahmen“, sagt der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission, auch wenn dies vielleicht „nicht der ideale Weg“ sei. Gut findet er, dass die Zertifikate, die die Kraftwerke zusätzlich erwerben müssten, dann stillgelegt würden. Auch Christoph Schmidt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung sieht das so. Haucap meint, als Alternative wäre es einfacher, die Zertifikate aus dem Markt herauszukaufen – „dann würde insgesamt weniger emittiert, auch in der Industrie“. Das sei ein „viel weitergehender Eingriff als eine dezidierte Vorschrift für eine überschaubare Zahl von Kraftwerken“. Und mit einem staatlichen Eingriff hat der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission in diesem Bereich auch kein Problem: „Umweltschutz ist immer Ordnungsrecht“, so Haucap.

Das bestätigt auch ein Blick in die Historie. Am Abend feiert das Öko-Institut sein 65-jähriges Bestehen unter der Überschrift „Halbzeit Energiewende“. Eine „großartige Idee“, findet Energiestaatssekretär Rainer Baake. Der einstige Staatssekretär in Hessen beim damaligen grünen Umweltminister Joschka Fischer erinnert sich: Als es einen Störfall im RWE-Atommeiler Biblis gab, wollte das Ministerium Experten vom Öko-Institut dorthin schicken. Von RWE hieß es dann, „die kommen uns hier nicht herein“. Erst der dezente Hinweis darauf, dass man ja auch die Betriebserlaubnis entziehen könnte, öffnete die Türen. Auflagen für den Klimaschutz hätten schon in der Vergangenheit zu Protesten geführt, weiß Baake. „Ich kann mich an Fackelzüge auf den Brücken über den Rhein 2003/2004 erinnern“, berichtet er. Den Hype um die aktuellen Vorschläge für CO2-Minderungen der Kraftwerke findet er übertrieben: „Wir machen keine Brennstoffpolitik. Wir setzen den Rahmen.“

Donnerstag, 26. März

Im Bundestag verteidigt Minister Gabriel erneut seine Pläne für die zusätzliche CO2-Abgabe. Alle hätten sich immer wieder für das nationale Klimaschutzziel ausgesprochen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, sagt er insbesondere in Richtung Unionsfraktion. Hier müsse man sich „ehrlich machen”, denn nun werde das Ziel umgesetzt, und dafür seien, weil der ETS vor 2020 nicht wirken werde, zusätzliche nationale Maßnahmen nötig. Gabriel versichert, man wolle nicht ganze Braunkohleregionen zur Disposition stellen, aber Klimaschutz gebe es eben „nicht zum “Nulltarif”. Lob kommt von der Opposition, allerdings bezweifelt man dort, dass die Vorschläge wirklich konsequent umgesetzt werden.

Freitag, 27. März


Gabriel wie auch Baake hatten wiederholt betont, man sei auch „offen für Alternativvorschläge“. Doch bisher habe niemand dazu etwas vorgelegt. Nun darf man gespannt sein, ob die Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Bundesländer Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sowie des BMWi, auf die sich Gabriel mit den Energieministern der ostdeutschen Länder nach einem Treffen verständigt hat, substanzielle Vorschläge für den zusätzlichen Minderungsbeitrag entwickelt. Nach Angaben von Brandenburgs Energieminister Albrecht Gerber sollen bis Ende April erste Ergebnisse vorgelegt werden.




Der vorstehende Beitrag zum Thema Klimaschutz und Energiewende europäisch umsetzen  wurde bereitgestellt von:

Energie & Management

April 02, 2015

Angelika Nikionok-Ehrlich


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