Für einen Energiemanager im Kohleland Nordrhein-Westfalen fand Stephan Kamphues deutliche Worte. „Wir sollten die Merit-order so verändern, dass sukzessive die umweltschädlichsten Kohlekraftwerke aus dem Markt genommen werden können“, preschte der Sprecher der Open Grid Europe auf dem 1. Energiepolitischen Dialog seines Unternehmens vor. Deutschlands führender Fernleitungsnetzbetreiber hatte zu dieser Veranstaltung Vertreter von Politik und (Energie-)Wirtschaft an den Firmensitz nach Essen eingeladen, sicherlich auch um für das eigene Unternehmen zu werben, aber vor allem um für eine stärkere Berücksichtigung von Erdgas bei der Energiewende zu appellieren.

Dass sich Kamphues für ein stufenweises Abschalten von Kohlekraftwerken stark macht, kommt nicht von ungefähr: Jeder Kohlemeiler, der vom Netz geht, verbessert die Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken, von denen hierzulande kaum eines im Geld sein dürfte. Dass Kamphues mit seiner Unterstützung für ein abgestuftes Kohleausstiegsgesetz, um das derzeit in Berlin erste Diskussionen beginnen, in Nordrhein-Westfalen mit SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft an der Spitze dicke Bretter bohrt, ist ihm wohl bewusst: „NRW ist nach wie vor zu sehr mit seiner Vergangenheit verbunden.“

Die Stimmen in Berlin nach einem Kohleausstiegsgesetz werden lauter, und das hängt auch damit zusammen, dass Deutschland seine selbst gesteckten Klimaziele wohl verfehlen wird. Ziel der Bundesregierung ist es, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 % zu senken. Mit den bislang eingeleiteten Maßnahmen wird Deutschland dieses Ziel nach bislang vorliegenden Studien um 7 bis 8 % verfehlen. Angesichts dieser drohenden Zielverfehlung beurteilte Kamphues den jüngsten klimapolitischen Kompromiss der europäischen Staats- und Regierungschefs als „enttäuschend“: „Das bringt uns keinen Schritt nach vorne.“ In der Nacht zum 24. Oktober hatten sich die 28 EU-Staaten zwar darauf verständigt, das Ziel eines 40-prozentigen CO2-Ausstoßes bis 2030 beizubehalten, allerdings schwächten sie die Vorgaben für die Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien ab. Zudem sind die jeweils festgelegten 27-%-Zielmarken nicht verbindlich für jedes einzelne Mitgliedsland.

Dass sich die EU lediglich auf dieses Minimalkompromiss verständigt hat, führt Open Grid-Manager Kamphues auf die verloren gegangene Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz zurück: „Europa hat registriert, dass in Deutschland mit der Energiewende die CO2-Emissionen gestiegen sind und das es Rückschritte bei der Versorgungssicherheit gegeben hat.“ Deshalb müsse es in der Energieversorgung zu einer neuen Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit kommen.

Ein Trostpflaster für die Gaswirtschaft und ihre Transportunternehmen hatte zumindest Peter Franke, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, parat: „Mit der Energiewende werden Technologien wie Power-to-Gas an Bedeutung gewinnen, wovon die Gasnetz- und Speicherbetreiber profitieren werden.“ Eine Botschaft gab Jan Karl Karlsen, Leiter der Berliner Niederlassung des norwegischen Statoil-Konzerns, der deutschen Politik mit auf den Weg: „Erdgas passt besser zur Energiewende als Kohle.“