Dienstag, 16. September 2014

Hoffnungen auf Gasentspannung



Bild: Fotolia.com, nmann77

Der Gasversorgung steht ein spannender Winter bevor. Anfang September gab es im Ukrainekonflikt allenfalls erste Anzeichen für eine Waffenruhe – im daraus entstandenen Sanktions-Schlagabtausch driften die EU und Russland als wichtigster Gaslieferant immer weiter auseinander. Befürchtungen für den nächsten Winter sind kein Hirngespinst – sie haben einen realen Hintergrund: Im Februar 2012 war bei tiefem Frost, der den Energieverbrauch von Mitteleuropa bis nach Russland anheizte, nur relativ wenig russisches Gas durch die Importpipelines nach Europa gekommen. Die Lieferverträge sehen solche Einschränkungen vor, doch in Süddeutschland wurde der Brennstoff so knapp, dass Gaskraftwerke nicht mehr hätten hochgefahren werden können, wenn man sie gebraucht hätte. Und das sorgte für Alarmstimmung.
Im bevorstehenden Winter wird der Frost vermutlich nicht der
einzige Unsicherheitsfaktor für die Gasversorgung sein. Kurz vor Beginn
des neuen Gaswirtschaftsjahres schwelt weiter der Ukrainekonflikt. Die
EU und Russland haben sich gegenseitig mit Wirtschaftssanktionen
überzogen – die Versorgung Europas mit russischem Gas war davon
allerdings bislang nicht betroffen. Russland ist der wichtigste
Gaslieferant – 2013 kamen 38 Prozent des in Deutschland verbrauchten
Gases von dort.
Doch wie lange wird das so bleiben? Schon seit
Juni beliefert der russische Gazprom-Konzern die Ukraine nicht mehr mit
Gas, weil das Land Rechnungen nicht bezahlt hat und weil sich beide
Seiten bislang trotz Vermittlung der EU-Kommission nicht auf einen
Gaspreis für künftige Lieferungen einigen konnten.
Dieser Konflikt weckt bei der Gaswirtschaft Erinnerungen an den Januar 2009.
Damals hatte Gazprom der Ukraine im Streit über den Gaspreis den Gashahn
zugedreht. Die Ukrainer bedienten sich danach aus Transitmengen, die
für Europa bestimmt waren. Auch in Deutschland kam weniger Gas an als
vertraglich vereinbart – die Versorger mussten auf Speicher
zurückgreifen.
Ein solches Szenario wird auch für den kommenden
Winter nicht für unmöglich gehalten. Das Transitland Ukraine gilt unter
den deutschen Importeuren russischen Gases – Eon, Wingas, RWE und VNG −
als Risikofaktor. „Wir beobachten mit großer Aufmerksamkeit und einiger
Sorge die Vorgänge in der Ukraine und ihre Folgen“, hieß es Ende August
bei Eon. „Wir haben in der jüngsten Vergangenheit bereits zwei
Transitkrisen erlebt, weil die Ukraine Gasmengen, die für den
europäischen Markt bestimmt waren, unrechtmäßig aus dem Transitsystem
entnommen hat“, erklärte Wingas. Auch Karsten Heuchert, Vorstandschef
der ostdeutschen Verbundnetz Gas (VNG) sieht das größte Fragezeichen im
Hinblick auf die Belieferung mit russischem Gas im kommenden Winter bei
der Ukraine.

Ukraine-Transportroute verliert an Bedeutung

DieVNG selbst wäre indes von Einschränkungen auf der Lieferroute durch das
osteuropäische Land gar nicht betroffen. Das Unternehmen bezieht sein
Gas aus Russland inzwischen vollständig über die Pipelines Jamal, die
durch Weißrussland und Polen nach Deutschland führt, und Nord Stream
durch die Ostsee. Auch Wingas erhält weniger als zehn Prozent seiner
Lieferungen aus Russland über die Transitroute durch die Ukraine, RWE
dagegen den größten Teil. Insgesamt seien die Transportmengen über die
Ukraineroute seit letztem Jahr signifikant zurückgegangen, heißt es aus
der Gaswirtschaft.
Dass Russland selbst die Gaslieferungen nach Europa einschränken könnte, wird als extrem unwahrscheinlich bewertet.
Die Gasbranche verweist in diesem Zusammenhang gern auf die selbst in
Zeiten des Kalten Krieges sichere Belieferung. „Wir haben seit 40 Jahren
Verträge mit Gazprom und die sind stets erfüllt worden“, bekräftigt
VNG-Chef Karsten Heuchert. „Wir haben Russland als zuverlässigen Partner
und Lieferanten kennengelernt“, ist man sich auch bei Wingas sicher.
„Es müsste Dramatisches passieren, damit im Zusammenhang mit dem
Ukraine-Konflikt auch Gas betroffen wäre“, meinte im August auch Liana
Fix, Osteuropa-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik (DGAP). Sie halte die Gaslieferungen von Russland nach Europa im
Moment „für gar nicht gefährdet“. Russland sei von Gasexporten nach
Europa fast noch abhängiger als Europa vom russischen Gas. Deshalb werde
das Land seine Lieferverpflichtungen auf jeden Fall zu erfüllen
versuchen.
Den ukrainischen Vorschlag, europäische Kunden sollten
das russische Gas künftig nicht wie bisher erst im Westen sondern
bereits an der Ostgrenze der Ukraine übernehmen und selbst die nötigen
Transitvereinbarungen mit dem Land schließen, betrachtet Fix als gute
Möglichkeit, weiteren Konflikten um Transitlieferungen in Richtung
Westen aus dem Weg zu gehen. Dazu müssten jedoch zahlreiche Verträge
geändert werden. Deshalb sei diese Lösung nicht von heute auf morgen
durchzusetzen. „Auch für die russische Seite wäre das kein schlechter
Deal“, so die Expertin.
Sollte es im nächsten Winter zu Liefereinschränkungen kommen, können die Gasversorger wieder auf ihre unterirdischen Gasspeicher bauen. Die mittlerweile 51 deutschen Gaslager
können knapp 23 Mrd. m3 nutzbares Gas aufnehmen. „Das entspricht mehr
als einem Viertel der in Deutschland im Jahr 2012 verbrauchten
Erdgasmenge“, rechnet der Bundesverband der Energie- und
Wasserwirtschaft (BDEW) vor.

Mehr LNG und andere Lieferanten

Der aktuelle Füllstand wird von der Branche als „sehr komfortabel“
bewertet. Auch die Speicher in Frankreich und Italien waren bereits im
Sommer gut befüllt. „In den vergangenen Jahren haben die deutschen
Gasspeicher auch bei kalten Perioden ihre hohe Leistungsfähigkeit
jederzeit unter Beweis gestellt und maßgeblich zum hohen Grad der
Versorgungssicherheit beigetragen“, ist man bei Eon überzeugt.
Der BDEW verweist außerdem darauf, dass Deutschland Erdgas „kontinuierlich
aus zahlreichen unterschiedlichen Lieferländern und aus eigener
deutscher Förderung“ beziehe. Zum Teil könnten solche Lieferungen im
Rahmen bestehender Verträge im Bedarfsfall erhöht werden. Als Option
gilt verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas – LNG), das aktuell auf
dem Gasmarkt ausreichend verfügbar ist. Einzelne Händler hätten bereits
damit begonnen, LNG-Schiffe als schwimmende Speicher und Sicherheit
gegen Lieferausfälle im Winter anzumieten, ist von Gasversorgern zu
hören. „Erdgas ist und bleibt ein sicherer Energieträger“, so der
Branchenverband.
Davon waren in den letzten Jahren wohl auch immer mehr Energieversorger und Industrieunternehmen überzeugt und haben ihre Tankanlagen für leichtes Heizöl, das in geeigneten
Zweistoffbrennern für Kessel und Gasturbinen oder auch in Motoren als
alternativer Brennstoff eingesetzt werden kann, abgebaut. Abschaltbare
Verträge mit Gaslieferanten und eine Absicherung der Energieversorgung
durch Heizöl seien mit der Liberalisierung außer Mode gekommen,
berichtet der VIK, die Interessenvertretung der energieintensiven
Industrie. Unternehmen wie die Stadtwerke Schwäbisch Hall, die Heizöl
als Zweitbrennstoff für ihre BHKW für drei Tage bereithalten, geben
jedoch zu bedenken, dass die Verwendung von Öl über einen längeren
Zeitraum schwierig wäre, weil die Belieferung logistische Probleme
aufwirft.
Auch wenn sich die deutsche Gaswirtschaft sicher ist,
Importeinschränkungen aus Russland im nächsten Winter verkraften zu
können – ewig lange dürften sie nicht dauern. Ein Stopp russischer
Erdgaslieferungen nach Westeuropa ab November würde nach spätestens
sechs Monaten zu erheblichen Versorgungsstörungen in Deutschland führen.
Das ergibt sich aus einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts
an der Universität zu Köln (EWI). Um den Ausfall russischer Lieferungen
innerhalb dieses Zeitraums kompensieren zu können, müsste in Europa
allerdings erheblich mehr Flüssiggas als im Jahr 2013 importiert werden,
so die Untersuchung. Der Winter könnte tatsächlich spannend werden.


Der vorstehende Beitrag zum Thema Gasversorgung im Winter wurde bereitgestellt von:

Energie & Management

September 15, 2014

Peter Focht

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